Ein anderes Zeitzeugengespräch / Sie sprechen von mir nur leise

Paula Quast rezitiert Mascha Kalékos Gedichte in der Mensa des Augustinus-Gymnasiums

Weiden. (jba) Henry Altmann, schwarz gekleidet, begeht die Bühne schnellen Schrittes durch den Mittelgang im Publikum. Er entzündet die Kerze auf dem schlichten Tischchen und begibt sich zu seinen Musikinstrumenten. Von Kontrabassklängen begleitet schreitet Paula Quast, ebenfalls in Schwarz, nach vorne. Sie blickt die Zuschauer an und eröffnet mit bedeutungsvoller Stimme: „Sie sprechen von mir nur leise“.

Dieses erste Gedicht von Mascha Kaléko handelt von Fremdheit, Einsamkeit und davon dass sie ihr „Bündel zur Reise“ schnürt. Reisen musste die 1907 geborene Jüdin gezwungenermaßen, wobei sie sich nach dem Verlust ihrer Heimatstadt Berlin nirgends heimisch fühlen konnte: „Wohin ich immer reise, ich komm nach Nirgendland.“

Die Wege Kalékos, verbunden mit einigen Biographieauszügen und vor allem ihre Gedichte veranschaulichte die Schauspielerin Paula Quast am vergangenen Dienstag in der Mensa des Augustinus-Gymnasiums gemeinsam mit Henry Altmann, der das Kaléko-Programm „…sie sprechen von mir nur leise…“ musikalisch unterstrich. Nachdem es schon in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgeführt wurde, war das abendfüllende Programm im Rahmen des Aktionsbündnisses „Weiden ist bunt“ mit Unterstützung der Bundesförderung von „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ und Organisation des Stadtjugendrings auch in Weiden zu sehen. Für Schulleiter Helmut Matejka ist es ein „sehr spannendes Portrait“, das die Künstler von der jüdischen Literin Mascha Kaléko zeichnen. Unter dem Motto „Öffnung der Schule“ sei es wichtig, „über den Tellerrand zu schauen“ – und dieses „andere Zeitzeugengespräch“ lade dazu regelrecht ein. So gab es am Vormittag schon eine Vorstellung für den Abiturjahrgang des Gymnasiums, der sich schon im Voraus mit der Schriftstellerin auseinandergesetzte.

„Mascha Kalékos Gedichte sind zeitlos“, erzählt Quast. Auch heute seien sie immer noch aktuell und ansprechend. Und dass es Kaléko mit Erich Kästner aufnehmen konnte, zeigte sie schon 1931: In einem renommierten Wochenblatt löste sie den berühmten Schriftsteller ab.
Zudem sind ihre Verse nicht schwer verständlich: Sie handeln von alltäglichen Dingen wie Liebe, Abschied und Einsamkeit, von Sehnsucht und von Traurigkeit. Das machte es dem Publikum in der Mensa leicht, knapp eineinhalb Stunden gebannt an den Lippen der Schauspielerin zu hängen und während den kurzen, teils heiteren, teils melancholischen Kontrabassklängen über das Gesagte zu sinnieren.

Das Gedicht „Bericht aus einer Kindheit“ mit dem Schlusssatz „Ich lernte damals unauffällig sterben“ löste eine stumme Betroffenheit bei den Zuschauern aus, „Agotha“, eine detaillierte Beschreibung Kalékos Kindermädchens und deren Lebensweise, veranschaulichte die Geborgenheit, die sie in ihrer Heimat verspürte. Selbstironische Phrasen wie „Mein meistgesprochenes Wort als Kind war »nein«, ich war kein einwandfreies Mutterglück. Und denke ich an jene Zeit zurück: Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein“ regten die Zuhörer zum Schmunzeln an, ebenso wie „Der Fettnäpfchentreter“, welches von Altmann mit schnellem, fidelem Rasseln begleitet wurde. „Der Herr von Schalter 9“, eine ironisch-witzige Umschreibung eines philiströsen Daseins, entlockte den Besuchern sogar einige Lacher. Mit „Signal“ erzählt Kaléko von einer Situation mit ihrem ersten und zweiten Ehemann, das darauffolgende Gedicht „Ich und Du“ bildet eine tiefe Liebe ab, in der jeder ein „Singular“, also er selbst, bleibt. Nach ein paar tristen Gedanken zum Thema „Schweigen“ scheint Schluss zu sein. Doch die Zugabe „Ausgesetzt“ schließt Paula Quast mit dem Satz „Zur Heimat erkor ich mir die Liebe“ – die Zuhörerschaft lächelt, vielleicht weil es versöhnlich scheint, dass Mascha Kaléko trotz allem ihren Platz gefunden hat.