Anastasia Poscharsky-Ziegler über das Programm „Toleranz fördern & Kompetenz stärken“ in Weiden:
Ich bin da in so ein Projekt ´reingeschlittert…
„TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ heißt es.
Das Bundesfamilieninisterium will mit dieser Fördermaßnahme in ausgewählten Städten, die sich erfolgreich beworben haben, Kinder und Jugendliche für Demokratie, Toleranz und Fremdenfreundlichkeit stärken. Mir wurde die Öffentlichkeitsarbeit übergeben und auf einmal gehörte ich dazu…
Nun nach dem ersten von zwei Förderjahren werden Bürger unserer Stadt sagen „Wir haben es ja gewusst: Das Programm hat nichts gebracht! Das ist alles nur Steuergeldverschwendung!“
Es ist auch wirklich nicht leicht zu sagen, was sich nun dramatisch verändert hat. Ist denn überhaupt etwas passiert?
– Schon vier Schulen unserer Stadt haben sich dazu verpflichtet das Thema Ausgrenzung offensiv anzugehen, anzusprechen, mit den SchülerInnen Strategien einzuüben um schlimme Auswüchse zu verhindern
– LehrerInnen und ErzieherInnen lernen in fünf ganztägigen Workshops sich aktiv einzusetzen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung.
– Einheimische und Zuwanderer beschäftigen sich in intensiven Gesprächen mit gesellschaftlichen Themen wie Gleichberechtigung, Lebensentwürfen und Religion
– Ein Kinder- und Jugendsporttag brachte Menschen über innere Distanzen hinweg zusammen.
– Die Nachmittagsbetreuung einer Schule setzt sich in fünf Arbeitsgruppen für einen toleranteren Umgang ein, Gymnasiasten arbeiten in intensiver Recherche an einem „Weißbuch Integration“ mit nützlichen Hinweisen für Zuwanderer in unserer Stadt
– Sozialpädagogen besuchen eine Fachtagung um mit Behinderten das heikle Thema „Euthanasie im Dritten Reich“ sensibel zu behandeln.
– Zehn Überlebende des Holocaust begegnen als Zeitzeugen den Schülern unserer Stadt und erzählen vom dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.
Das sind nur einige der laufenden 18 Projekte…
Und was mache ich dabei so?
Als Mittfündzigerin gehe ich plötzlich ins Jugendzentrum. Ich spiele nach mehr als vierzig Jahren wieder Flöte. Ich halte mich regelmäßig in dem Stadtteil auf, den ich bisher peinlich gemieden hatte. Ich habe neue Kontakte und Freunde, führe Gespräche über andere Themen als früher. Ich schreibe statt Theaterkritiken jetzt Stücke für ein Kinderpuppentheater. Ich überlege pausenlos, was Demokratie im Alltag bedeuten kann…und komme zu Ergebnissen.
Meine Integrationsgruppe sitzt nicht mehr wie früher isoliert im Hinterzimmer, sondern bricht auf zu neuen Partnern und Orten, vernetzt sich, wird lebendiger und erarbeitet sich ungeahnte Möglichkeiten. Neue Gesichter sind unter den bekannten zu sehen…
Natürlich war ich eine Demokratin. Damit meine ich, dass ich nie eine Wahl versäumt habe, im Fall der Fälle Briefwahlunterlagen anforderte, diese fristgerecht ausfüllte und absandte.
Aber bin ich deshalb allein schon demokratisch? Kann ich denn wirklich einer konträren Meinung zuhören, kann ich sie gelten lassen? Kann ich debattieren, mit meiner Meinung unterliegen und die Meinung der Mehrheit aktiv mittragen?
Ist es nicht viel bequemer jemanden mit geschickten Formulierungen mal schnell zu überfahren und sich durchzusetzen? Ist es nicht angenehmer und schneller, wenn es nach dem eigenen Kopf geht als mit anderen zu argumentieren – auf der mühsamen Suche nach dem besten Weg für alle ?
Tolerant war ich auch. Bestimmt doch! Polyglott, mit Freunden aus aller Herren Länder.
Aber reicht das?
Bin ich wirklich fähig Menschen anderer Kulturen an meinem Lebensumfeld gleichberechtigt partizipieren zu lassen? Sie nicht nur im günstigsten Fall gönnerhaft zu dulden? Mich nicht ihrer Exotik zu bedienen und mich zu schmücken? Mag ich Menschen anderer Kultur, Religion und Sprache auch als Nachbarn und Kollegen haben – ja, eventuell sogar als Schwiegersohn, als Vater meiner Enkel ? Hm.
Einige werden sagen „Es tut sich da rein gar nichts!“
Ich sehe das etwas anders…..denn ich bin in dieses Projekt hineingeschlittert…
Fest steht: das Projekt verändert mich.
Anastasia Poscharsky-Ziegler